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Die Aschkastenwerkstatt des EAW Lingen

Nachkriegsästhetik in Kalksandstein

In der Mitte des Werkgeländes zwischen der Kesselschmiede und der großen Lokomotivhalle 1 & 2 versteckte sich eine, nur vom Werkgelände sichtbare, architektonische Ohrfeige aus Kalksandstein - die Aschkastenwerkstatt.

Im Vergleich mit der Halle 3 hat man bei der ehemaligen 'Aschkastenwerkstatt' die Funktionalität unter völliger Missachtung gestalterischer Aspekte auf die Spitze getrieben: zwei sattelbedachte Hallenschiffe mit Dachflächenfenstern, scheinbar symmetrisch und doch nicht symmetrisch, aus schmutzanfälligem, billigem Baustoff, langweilig und nichtssagend bis dorthinaus, dass es fast eine Beleidigung für jeden Betrachter war. Und dennoch gab es im Innern interessante Installationen zu sehen.

Als am 10. Mai 1989 die Mauern der Kesselschmiede an der Lingener Kaiserstraße gefallen waren, kam neben der goldenen Abendsonne auch dieser Bau zum Vorschein: weiß (jedenfalls irgendwann einmal) und ganz anders als alle anderen Gebäude, die das Gesicht des Eisenbahnwerkes nach Außen prägten. Erst beim näheren Hinsehen fiel auf, dass das linke Hallenschiff um einiges höher und breiter war als sein nördlicher Nachbar.

Sonderposten Kalksandsteine?

Wie es zur Verwendung des Kalksandstein gekommen war, ist rätselhaft. Vielleicht ein billiger Sonderposten? Oder Kriegsschutt? Doch genug der Häme: eine Halle für die Aschkasten-Instandhaltung der Lokomotiven musste her und da war sie auch schon. Billig, nützlich und hässlich. Aber mit einer Grundfläche von immerhin ca. 680m² durchaus bemerkenswert.

Die zur Kaiserstraße gerichtete Gebäudefront zeigte eine Reihe länglicher Stahlrahmenfenster, fünf davon in sauberer Symmetrie im linken Schiff, und ehemals vier im rechten.
Nun fragte man sich, wieso direkt unter der mittigen Traufenzone ein weiteres Fenster angeordnet werden konnte, wo man an dieser Stelle doch eine innen verlaufende Mauer oder zumindest eine Stützenreihe vermuten würde. Die Mauer war tatsächlich da, nur um ein Stückchen nach links verschoben. Es handelte sich hier um einen nachträglichen Umbau aus der Zeit, als man Sandstrahlanlagen zu Reinigungszwecken einbaute.

Außen pfui und innen hui

Zu diesem Zweck entstanden in der Vorderwand unterschiedlich angeordnete Eingänge. Fensteröffnungen wurden zugemauert und neue eingebaut. Man dachte sich wohl, dass nun ja auch nichts mehr kaputt zu machen sei - eben doch ...
Die Südseite präsentierte sieben Öffnungen, eine davon mit Oberlicht, die anderen sechs wiederum mit Stahlrahmenfenstern. In der Nordwand klafften drei große Tore, selbstverständlich von unterschiedlicher Höhe.
An der Westseite befanden sich kleinere Fenster, darüber ein Mauerstreifen und noch einmal kleine Oberlichter. Außerdem eine Tür - in die Wand gehauen als handele es sich um eine Steinzeithöhle und wieder lustig zugemauerte Fensteröffnungen hier und da.
Zwischen die Sandstrahlwerkstatt und die westlich vis-á-vis stehenden Büroanbauten der Halle 1 & 2 wurde irgendwann einmal eine kleine, unbeschreiblich schlampig zusammen gehauene Überdachung mit einer einfachen Krananlage darunter geklemmt, die hier vor sich hin faulte.

Während das linke Hallenschiff, in dem sich keine Einbauten befanden, in den letzten Jahren des AW Lingen als Holzlager vermietet wurde, stand der rechte Teil leer.
Drei abgemauerte Räume (groß genug für einen Eisenbahnwaggon) waren über eine nördlich gelegene Schiebebühne an die Werkgleise angeschlossen. In ihnen wurden Reinigungs- und Entrostungsarbeiten durchgeführt.
Die zum Betrieb nötigen Sandstrahlanlagen waren in der nordöstlichen Gebäudehälfte untergebracht: große, rostige Stahltrichter, Turbinen, Rohre, Tanks, Ventile und Kabel wurden durch Wartungsebenen unterschiedlicher Höhe zugänglich gemacht, die wiederum mit kleinen Beton- und Holztreppen verbunden waren. Kleine höhlenartige Räume gingen ineinander über und vermittelten mit ihrer dicken Schicht von Staub und Strahlsand interessante Eindrücke.

Angehübscht und abgerissen

Im Jahre 1989 wurde dieses einmalige Beispiel großdeutscher Flickschusterei für alle Passanten der Kaiserstraße sichtbar. Die Bewunderung hielt sich jedoch in Grenzen.
Daher entschloss sich die Eigentümerin Deutsche Bahn knapp zehn Jahre später zu der außerordentlich weitsichtigen Maßnahme dieses beeindruckende Stück Baukunst mit einigen Eimern weißer Farbe anzuhübschen. Danach wurde auch noch der Glaser angerufen, der die marode Bude hier und da mit schönen neuen Fensterscheiben verzierte.
Zum Abschluss putzte man sogar noch sämtliche Fenster, bevor ein paar Monate später dann auch schon der Abrissbagger vor dem hübschen, frisch getünchten Machwerk stand.

Haben Sie ne Idee?

Juni 1998: Der Abrissbagger nagte an der noch 1945 erbauten Aschkastenwerkstatt. Große Mauerteile fielen mit Getöse zu Boden, Staubwolken stiegen aus den Trümmern hervor. Der hier großzügig verwendete Beton machte es dem Bagger nicht ganz leicht doch nach zwei Tagen eifrigen Klopfens brach auch der letzte Rest des Gebäudes unter lauten Krachen in sich zusammen.
Der Bauschutt wurde abgefahren und die Fläche mit Graseinsaat versehen.

Ach, sagen sie mal ... haben Sie vielleicht ne Idee, wofür die Bahn das Geld aus den Fahrpreiserhöhungen, pardon, -anpassungen braucht? Jaa! Genau richtig! Farbe! Weiße Wandfarbe!

Dipl.-Ing. [FH] Arch. Frank F. A. Drees

Erbaut:
ca. 1945
Bauform:
Zweischiffiges Hallengebäude, Nachkriegsarchitektur
Bauweise:
Kalksandstein-Massivbau, Dachtragwerk Stahl, Holzdach
Grundfläche:
ca. 700m²
Max. Abmessungen:
ca. 20 x 35m
Historische Nutzung:
Aschkastenwerkstatt, Sandstrahlanlagen
Abbruch:
Juni 1998
Heutige Nutzung:
PKW-Parkfläche