Viel zu selten ist es uns Planern vergönnt, imposante Natursteinbauten, ein reizvolles altes Fachwerkhaus, oder auch stimmungsvolle Industrieanlagen sanieren zu können. Am häufigsten steht man doch mehr oder weniger ratlos vor den nüchternen Hinterlassenschaften der Nachkriegszeit und ihrer späteren Folgejahre. So auch im Falle der ehemaligen Hauptschule im Lingener Stadtteil Darme. Dass jedoch auch eine solche Waschbetonkiste aus ihrer Belanglosigkeit herausgeholt werden kann, beweist der Architekt Hubert Dohle vom Braunschweiger Büro Dohle und Lohse.
Ende der 60er Jahre entstand am Rand eines Kiefernwalds, an der Schnittstelle des südlichen Stadtgebiets mit dem angrenzenden Staatsforst eine jener typischen, charakterlosen Waschbetonburgen, wie sie allerorts anzutreffen sind. Ein mildernder Umstand war in diesem Fall der baumreiche Standort, mit dem die Architekten der 60er Jahre jedoch offenbar nicht viel anzufangen wussten, denn auch nur die leisesten Anklänge an einen Dialog von Gebäude und Umgebung suchte man hier vergeblich. In seiner bezugslosen und schäbigen Erscheinung hätte der Bau auch an jedem anderen Ort stehen können. Im Inneren setzte sich der unbefriedigende Eindruck fort: Eine dunkle, unfreundlich erscheinende Aula empfing Schüler und Lehrer. Einzig in der ringförmigen Anordnung der einfachen Klassenräume um einen Innenhof, beziehungsweise um die Aula herum, war eine gewisse Qualität erkennbar.
Die große Chance zur Verbesserung dieser unschönen Situation kam mit einem neuen Gesamtschulkonzept, das eine Konzentration an drei Standorten und damit den Ausbau der vorhandenen Gebäude vorsah. Aus dem folgenden Wettbewerb ging das Braunschweiger Büro Dohle und Lohse mit einem Entwurf, der sich durch sein solides, kostensparendes Gesamtkonzept und seine dennoch hohe Qualität auszeichnete, als erster Preisträger hervor. Die bestehende Bausubstanz sollte erhalten, jedoch wesentlich attraktiver gestaltet werden. Für die Innenbereiche war eine weitgehende Öffnung und damit eine verstärkte Belichtung vorgesehen.
Der neue Entwurf richtet sich nach der vorgegebenen Geländesituation. Größere Glasflächen orientieren sich zu den vorhandenen Lichtungen und die komplettverglasten Fassaden öffnen Gebäudeteile zu den angrenzenden Innenhöfen, machen den Wald erlebbar und lassen die Grenze zwischen Innen und Außen reizvoll verschwimmen. Da das Gesamtschulkonzept eine höhere Anzahl von Klassenräumen erforderte, wurden südlich vom Bestand die notwendigen Erweiterungen geplant. Die Anordnung der Neubaus in einer angedeuteten S-Form ließ zwei räumlich getrennte Innenhöfe entstehen, was im Hinblick auf die verschiedenen Altersstufen der Schüler sinnvoll ist. Auch für Verwaltung eine Cafeteria und Ganztagsbetreuung musste im Neubau zusätzlicher Raum geschaffen werden. Bei all diesen Erweiterungen verlor der Architekt Hubert Dohle jedoch den Bezug zur Natur nicht aus dem Auge. Der Kiefernbestand sollte so weit wie möglich geschont und nicht als zufällige Bauplatzumgebung, sondern als reizvolles Element in den Entwurf mit einfließen und diesen bereichern.
Wenig begeistert äußert sich Dohle über den vorgefundenen Zustand des 'Plattenbaus'. 'Es war kein Brandschutzkonzept erkennbar, Fluchtwege waren unzureichend, die Haustechnik musste vollständig erneuert und erweitert werden. Auch die Fenster der Klassenzimmer waren unbrauchbar, zu annähernd 70% beschädigt oder überhaupt nicht mehr funktionsfähig'. Eine 'ungeheuer wirkungsvolle' Wärmedämmung der Außenwände von einem Zentimeter Stärke krönte den 'katastrophalen Zustand' des Bestandsbaukörpers. Lediglich das Flachdach, welches kurz zuvor saniert worden war, bereitete keine weiteren Schwierigkeiten.
1996 begann man mit der Umsetzung der Planung in drei Zeitabschnitten (Wiederherstellung des Bestandsbaukörpers, erster Neubauabschnitt und zweiter Neubauabschnitt), sodass die Schule während des gesamten Umbaus weiter genutzt werden konnte. Erste Überraschungen gab es dann aber im Zuge der Fassadensanierung: Eine vollständige Entfernung der Waschbetonverkleidung, die Dohle vorgesehen hatte, war nicht möglich, da die Ortbetondecken mit den Wandelementen fest verbunden waren. Also wurden die neuen Wandaufbauten mit zeitgemäßer Wärmedämmung auf die Plattensegmente gesetzt. Die äußere Gestaltung der Fassaden erfolgte mit Aluminiumwellplatten, die in horizontalen Streifen bis zur Unterkante der Fensterreihen im Obergeschoss reichen und die lineare Gebäudestruktur betonen. Das obere Geschoss wurde mit einem Verbundputz ausgestattet, der mit seinem weißen Anstrich eine hier nie zuvor erreichte freundliche Helligkeit vermittelt. Hinzu kommen sehr dezente und dennoch wirkungsvolle senkrechte Bauteile in angenehmen Orange-Tönen, kombiniert mit naturfarbenen Holzfenstern und teilweise blauen Fensterrahmen. Eine moderne Schattierungstechnik vervollständigt die Fassadensanierung.
Der ehemalige Haupteingangsbereich, der zugleich den Zugang zum 'Problemfall Aula' darstellt, wurde in voller Geschosshöhe verglast, um das extrem starke Lichtdefizit auszugleichen. Auch in Punkto Akustik hatte der große Versammlungsraum keine sonderliche Qualität, was bei Veranstaltungen oft ein Ärgernis war. Dieses Defizit konnte durch den Einbau einer Akustikdecke weitgehend aufgefangen werden. Dennoch kann man mit dem Ergebnis in der Aula nicht völlig zufrieden sein. Die alten, bräunlichen Bodenfliesen und die übrige Raumausstattung zeugen von einem straffen Budget, dass hier leider keine weiteren Verbesserungen zuließ. Auch räumt Dohle ein, dass seine Planungen hinsichtlich des Einbaus einer Oberlichtverglasung in der Aula ebenfalls aus Kostengründen nicht umgesetzt werden konnten. Die Lichtverhältnisse haben sich zwar merklich gebessert, das Ergebnis stellt aber nicht die ursprünglichen Planungen dar.
In den übrigen Innenräumen des Altbaus legte der Planer das Hauptaugenmerk auf die größtmögliche Transparenz, durch zusätzliche Oberlichter und mehr Glas. Hinzu kommen eine harmonisch-dezente und dennoch lebendige Farbgebung für eine insgesamt freundlichere Wirkung, die der Bau so lange vermissen ließ. Die bisher hier untergebrachten Verwaltungsräume wurden in den Neubaubereich umquartiert und statt dessen Räume für Kunst und Werken eingerichtet, Fluchtwege ausgewiesen und an verzinkte Außentreppen die in ihrer selbstverständlich-eleganten Erscheinung den Altbaukörper sogar noch bereichern.
Einen Glanzpunkt setzte Dohle an der Nahtstelle zwischen Bestand und Neubau, wohin auch der neue Haupteingang verlegt wurde. Ein zwischen die Baukörper eingeschobener Riegel mit sehr hohem Glasanteil und deutlich hervorragendem Tonnendach, das weit über eine vollständig verglaste Stirnwand auskragt. Das Dach ruht auf Schleuderbetonsäulen in Kombination mit einem reizvoll ausgestalteten, verzweigten Tragwerk, beziehungsweise Fachwerkträgern, was eine weitgehend stützenfreie Halle ermöglichte. Auch der Innenraum weist an dieser Stelle zahlreiche Highlights auf. Die Treppenführung, Beleuchtung mittels unterschiedlicher industriell anmutender Leuchten, Balkone und Flure treffen hier aufeinander und bilden ein ansprechendes kommunikatives Zentrum. Trotz der vielen Elemente wirkt es nicht überladen, sondern präsentiert in seiner sorgfältigen Materialauswahl aus Sichtbeton, Holz, Mauerwerk und viel Glas schlichte Eleganz und Nutzbarkeit.
Etwas befremdlich wirkt jedoch ein an der Westseite dieses Verbindungsbaus auskragender vollverglaster Balkon mit halbrundem Grundriss, welcher lediglich ein kleines Elternsprechzimmer beherbergt. Eingeengt zwischen den vorspringenden Baukörpern von Bestand und Neubau wirkt er eher gequetscht und unpassend und stellt zudem in seiner Ausgestaltung einen unnötigen Formbruch dar. Auch scheint die besondere Betonung dieses Bauteils hinsichtlich seiner Nutzung unangemessen deutlich.
Bei der Ausgestaltung der Erweiterungsbauten verfolgte Dohle ein schlichtes und überzeugendes Konzept. Allein die Zusammenstellung der Baustoffe, KS-Sichtmauerwerk, naturbelassene Holzbauteile, unbehandelte Beton-Fensterstürze, Sichtbeton-Wandscheiben und Säulen sowie wiederum Wellaluminium-Verkleidungen und ein sehr hoher Glasanteil, lässt eine angenehm transparente, gradlinige Wirkung der Innen- und Außenräume entstehen.
In der Anordnung der Fenster greift Dohle die Material- und Formensprache des Bestandsbaukörpers wieder auf. Durchlaufende Fensterreihen mit teilweise subtil eingefügten blauen Fensterrahmungen akzentuiert, ziehen sich um den gesamten Neubau. Auch das weiße KS-Mauerwerk kommuniziert mit den weißen Putzflächen des Bestandes. Ein deutlicher Überstand des Pultdaches hingegen, setzt sich von diesem ab.
Ein farblich lebendigeres Konzept setzte Dohle im Bereich der Orientierungsstufe ein: Großflächiger Einsatz von leuchtend roten, blauen und türkisen Verkleidungen, wiederum kombiniert mit Aluminium und sauber verarbeitetem Sichtbeton. Ein sachlicher Grauton in den Obergeschossen beruhigt dieses Farbenspiel wieder und verhindert so ein zu verspieltes Durcheinander der einzelnen Bauteile. Das Konzept der spielerisch-sachlichen Gestaltung setzt sich in den neuen Fluren und Klassenräumen fort. Neutrale, helle Farbgebung, auch hier ausgezeichnete natürliche Belichtung und in den oberen Räumen ein sichtbar belassenen Pultdach-Tragwerk aus unbehandelten Holzbauteilen, kombiniert mit stählernen Zugstäben und sparsamen farblichen Akzenten, schafft reizvolle und interessante Details.
Architekt Dohle zeigt am Projekt 'Friedensschule Lingen', dass selbst aus einem wenig inspirierenden Bau wie dieser ehemaligen 'Waschbetonkiste' ein qualitativ hochwertiges und überzeugendes Stück Architektur werden kann. Zwar konnten aus Kostengründen einige Maßnahmen nicht ausgeführt werden, beispielsweise ist die Aula auch heute noch weit davon entfernt, ein 'schöner' Raum zu sein und auch der deutlich sichtbare Kaminaufbau auf dem Dach trägt ärgerlicherweise bis heute die Waschbetonverkleidung, doch das Grundkonzept ist voll aufgegangen und macht Hoffnung, wenn man sich heute über die allgegenwärtigen Bausünden jener Jahre ärgert. Dies bewertete auch die Jury des 'BDA-Preises Niedersachsen 1997' positiv und zeichnete den Neu- und Umbau der Friedensschule Lingen aus. Wenn dann auch noch die Nutzer, wie Schulleiter Ewald Teipen bekräftigt, mit dem Gebäude so zufrieden sind, wie es hier der Fall ist, können Bauherr und Architekt das Sanierungsprojekt als vollen Erfolg verbuchen. Und auch die Schülerinnen Conny und Steffi finden den Umbau 'cool'. Was also will man mehr?!
Dipl.-Ing. [FH] Arch. Frank F. A. Drees
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