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Die Werksfeuerwehr des EAW Lingen

Von der 'Badeanstalt' zur Werksfeuerwehr

Wie die große Halle 1 & 2 und das Verwaltungsgebäude entstand auch das Gebäude der späteren Werksfeuerwehr während des Ersten Weltkrieges. Erbaut wurde es jedoch als sogenannte 'Badeanstalt' für Werkangehörige im Jahre 1917 direkt gegenüber der Einfahrt in die Werkstättenstraße, wo sich zuvor eines der Werktore befunden hatte.

Es handelte sich um einen dreigeschossigen (zwei Etagen plus Dachgeschoss), giebelständigen, gut proportionierten Baukörper in Massivbauweise mit Krüppelwalmdach. Bis in die 1970er Jahre befanden sich auf dem Dachfirst zwei Abluft-Aufbauten für die im ersten Stock liegenden Waschräume. Mit der Aufgabe dieser Nutzung verschwanden diese Aufbauten.
Wie beinahe alle Gebäude des Lingener Werkes wurde auch dieses den jeweiligen Bedürfnissen im Laufe der Zeit angepasst. Fenster waren notdürftig zugemauert und Wandteile ziemlich unsensibel herausgerissen.

Äußere Erscheinung

Die Straßenseite des Feuerwehrhauses wurde von drei symmetrisch angeordneten Fensterachsen gegliedert, von denen eine die straßenseitige Eingangstür aufnahm.
Da das Bauwerk beiderseits recht eng von der Werkskantine beziehungsweise dem Kraftwerk flankiert wurde, waren seine Längsseiten kaum sichtbar und wirkten sich daher gestalterisch nicht auf die Umgebung aus. Die Südwand wurde im Erdgeschoss von einigen vermauerten Fensterhöhlen 'verziert'. Darüber befand sich ein Band von zehn verhältnismäßig klein wirkenden einflügeligen Fenstern.
Die werkseitige Giebelwand besaß die gleiche Gliederung wie die Straßenfront, jedoch wurden hier später zwei geschosshohe Tore für die Werksfeuerwehr eingebaut.
Die Nordseite des Gebäudes verfügte im Obergeschoss mit 15 Fenstern über deutlich mehr Öffnungen als die Südseite. Dies erklärt sich aus der Nutzung des Waschraumes im Obergeschoss. Entlang der einen Wand befanden sich kleinteilige Duschkabinen gegenüber Badewannen auf der anderen Seite, deren Kabinen mehr Platz einnahmen.
Im Erdgeschoss wurde die Nordseite der Werkfeuerwehr von sieben arkadenähnlichen Rücksprüngen mit Korbbögen gegliedert. Dieses unerwartete Motiv tauchte an keiner anderen Stelle des Gebäudes auf. Unter den Bögen befanden sich Fenster und Türen: zum Treppenhaus und zu einem fensterlosen Abstellraum für Sanitäter-Gerätschaften. Ein größeres Tor führte in den Garagenraum.
Das Dach verfügte auf der nördlichen Fläche über zwei kleine Dachgauben mit Tonnendächern, die den geräumigen Dachboden und eine kleinere Dachkammer belichteten. Entlang der nördlichen Wand zog sich eine breite Gasleitung, die vom benachbarten Kraftwerk aus den Garagenraum durchdrang und von dort weiter zur Werkskantine auf der anderen Seite führte.

Badevergnügen

Die straßenseitige Eingangstür diente als zusätzlicher Zugang: auch Angehörige der angestellten Arbeiter durften die Waschräume nutzen, was zu jener Zeit ein begehrtes Privileg darstellte, denn Badezimmer im heutigen Sinne hatte man damals kaum, von Warmwasser aus der Leitung natürlich ganz zu schweigen.
Von hier erschloss eine einläufige, gewendelte Steintreppe mit Terrazzobelag, die im Obergeschoss in eine Holzkonstruktion überging, die oberen Stockwerke.
Im Obergeschoss gelangte man an einem Warteraum, einem WC und einem Wärterraum für die Badaufsicht vorbei in die Feuchtbereiche.
Die Raumaufteilung des Erdgeschosses der ehemaligen 'Badeanstalt' bestand aus der geräumigen Garage, die anfangs zur Unterbringung von Fahrrädern und nur zu einem Drittel für Feuerlöschgeräte geplant war, drei kleineren Räumen für Krankentransportwagen, einem Verbandszimmer und einem Sanitärraum.

Innenleben

Im Jahr 1991 befanden sich die Innenräume noch weitgehend in originalem Zustand. Drei Viertel des ersten Obergeschosses belegte der hellgelb gekachelte Nassbereich. Auf der rechten Seite des 1,50m breiten Mittelganges befanden sich noch sieben Duschkabinen aus Leichtbauwänden. Auf der linken Seite stand ein langgestrecktes Gemeinschafts-Waschbecken aus rotem Kunststein.
Ursprünglich wartete der Raum auch mit so luxuriösen Abteilungen wie einem Massageraum, einem 'Schwitzbad' und einem Ruheraum auf. Doch diese Einbauten waren zusammen mit den Badewannen demontiert worden, als das neue Waschhaus im ehemaligen Magazingebäude eingerichtet wurde.

Über eine Holztreppe im Treppenhaus gelangte man auf den Dachboden. Hier befanden sich gegenüber und neben der Treppe zwei kleine Räume. Einer davon verfügte über ein kleines Fenster zur Kaiserstraße, der andere nutzte eine der beiden Dachgauben nach Norden. Den Rest der Fläche beanspruchte ein Dachboden, in dessen Mitte sich bis zuletzt zwei große Dampfabzüge befanden, welche in die beiden Lüftungsaufbauten des Daches mündeten, die zu dieser Zeit jedoch bereits verschwunden waren.

Nach Aufgabe der Waschnutzung im ersten Stockwerk standen diese Bereiche viele Jahre leer und wurden sporadisch für Lagerzwecke genutzt.
Eine ungewöhnliche Stimmung herrschte im Waschraum: Goldenes Sonnenlicht flutete in den Abendstunden regelrecht von drei Seiten herein und spülte einen eigenartigen Hauch von Leben in die verlassenen Räume.

Letzte Jahre

Mit der Auflösung des EAW Lingen verlor auch dieses Gebäude seine Nutzung und die Bausubstanz verwahrloste. War schon während der Nutzung wenig zum Erhalt des Bauwerkes investiert worden, so luden jetzt die offenen Fenster und Türen zum Vandalismus ein.
Der Dachboden wurde von Tauben reich bevölkert und der Zahn der Zeit nagte an den Mauern und verursachte Setzungsrisse. Doch insgesamt befanden sich Mauerwerk und Dachstuhl in solidem Zustand.

Im Zuge der von der Stadtverwaltung beschlossenen 'Neuordnung' der baulichen Situation an der Kaiserstraße fiel das Feuerwehrhaus im Mai des Jahres 1992 als viertes Bauwerk der straßenbegleitenden Werkgebäude innerhalb von zwei Tagen dem Abrissbagger zum Opfer und ein weiterer Teil des Lingener Eisenbahnausbesserungswerkes war innerhalb weniger Stunden unwiederbringlich verloren.

Dipl.-Ing. [FH] Arch. Frank F. A. Drees

Erbaut:
1916
Bauform:
Giebelständiges Nutzgebäude mit Krüppelwalmdach
Bauweise:
Ziegel-Massivbau, Dachtragwerk Holz, Dachziegel
Grundfläche:
ca. 158m²
Max. Abmessungen:
ca. 7,5 x 21m
Historische Nutzung:
Badehaus, Feuerwehr-Gerätehaus
Abbruch:
Mai 1992
Heutige Nutzung:
PKW-Parkfläche / Fahrradweg