Den Tiefpunkt der ziemlich unsensiblen Zusammenstellung unterschiedlichster Bauformen und damit des Eindrucks baulicher Unordnung entlang der Kaiserstraße bildete die Werksküche des AW Lingen, deren der Straße zugewandter Teil als Speiseraum diente.
Wenn man mit etwas gutem Willen, der Staffelung der sehr unterschiedlich hohen Gebäude entlang der Straße auch einen gewissen Reiz nicht absprechen konnte, so war die Werkskantine selbst beim besten Willen sicherlich kein sonderlich bemerkenswertes Stück Baukunst.
Doch wie so oft bei den architektonisch weniger bedeutenderen Bauten auf dem AW-Gelände, so muss man natürlich auch bei der Werkskantine den zeitlichen Kontext der Nachkriegsjahre bedenken, in dem sie entstand. In einer Zeit also, in der man froh war, in einem solide gemauerten Bauwerk seine Suppe löffeln zu dürfen. Wie es aussah, war dabei verständlicherweise weitgehend egal.
Bereits um die Jahrhundertwende entstand an dieser Stelle ein nahezu quadratisches Gebäude zur Verpflegung der Werkangehörigen.
Nördlich schloss sich, nach einer etwa 27 Meter breiten Freifläche, auf der sich eine der Schiebebühnen befand, die Kesselschmiede an. Neben der Nutzung als Werksküche befand sich in diesem Vorgängergebäude im Obergeschoss zusätzlich eine Dienstwohnung und eine Pförtnerloge, die dem damals hier befindlichen Werktor zugeordnet war, dass mit dem Bau der Werksfeuerwehr verlegt wurde.
Knapp fünf Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg errichtete man hier in Massivbauweise das neue, etwa 1.200m² große Kantinengebäude in einer nüchternen Architektur aus rotem Ziegelstein mit einer Traufhöhe von etwa sieben Metern.
Im unteren Bereich wiesen die Ziegelsteine eine andere Farbe und Beschaffenheit als die darüber liegenden auf, was auf die Verwendung von Abbruchziegeln des Vorgängergebäudes schließen lässt. Das großflächige Flachdach bestand aus mit Stahlbeton vergossenen Hohlziegeln und fiel durch seinen allseitigen deutlichen Überstand auf.
Die Kellerräume entstanden als Souterrain der gesamten Grundfläche, das Hauptgeschoss als Hochparterre mit werksseitig angeschlossener Außentreppe.
Bei der Neukonzeption legte man wesentlich größere Räume und eine verbesserte Nutzbarkeit zugrunde: über die Außentreppe gelangte man in einen kleinen Vorraum, von dem zwei Türen zu Speisesaal und Küche abgingen.
Der Speisesaal war ein etwa 210m² großer heller, rechteckiger Raum mit großen Fenstern zur Kaiserstraße. Zwei Pfeiler trugen einen zentralen Deckenunterzug parallel zur Straßenfront. In der Trennwand zur Küche befand sich eine Durchreiche mit dem Tresen zur Essensausgabe.
Die Küche belegte den, dem Werk zugewandten und etwa gleichgroßen Teil des Gebäudes. Hier befanden sich Zubereitungsbereiche und Treppen zu den weitläufigen Lagerräumen im Souterrain.
Die Anlieferung von Kartoffeln, Getränkekisten und anderen Vorräten erfolgte durch Kellerfenster, zwei außenliegende Kellertreppen an der Werksseite und eine zweiflügelige Tür ohne Außentreppe in der Nordwand, an die ein Lastwagen heranfahren und entladen werden konnte.
An der südwestlichen Ecke im Außenbereich der Werkskantine stand aufrecht lange Zeit ein großer weißer Tank der Sauerstoff-Kaltvergaseranlage, umgeben von einer mannshohen Mauer mit Pforte.
Mit dem Auslaufen der Güterwageninstandhaltung im Jahre 1983 wurde die Werkskantine nur noch stundenweise während der Pausenzeiten genutzt.
Als im Jahr 1988 die letzte verbliebene Kantinenmitarbeiterin in den Ruhestand ging, bedeutete dies zugleich auch das Ende der Werkskantine im AW Lingen
Aufgrund des relativ geringen Alters des Gebäudes waren bis kurz vor dem Abriss keine nennenswerten Bauschäden zu verzeichnen. Die Innenräume waren sauber und wurden bis zuletzt als Lager für Getränkekisten genutzt.
Im Zuge der Abrissmaßnahmen aller straßenbegleitenden Bauten an der Kaiserstraße wurde das Kantinengebäude im September 1991 innerhalb weniger Tage abgerissen, die Baugrube verfüllt und mit Wieseneinsaat versehen. Über dem Standort der Werkskantine verläuft heute ein Fuß- und Radweg.
Im Jahr 2009 wurde auch die auf der gegenüber liegenden Straßenseite befindliche Wohnbebauung mit der Kneipe 'Lüttje Lage' vollständig abgerissen und ein weiteres Stück gewachsener Lingener Stadtgeschichte leider zu radikal beseitigt.
Dipl.-Ing. [FH] Arch. Frank F. A. Drees
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