Aus seiner peripheren Lage am Rande der Lingener Kurt-Schumacher-Brücke ist der nach seinem Konstrukteur benannte und etwa im Jahr 1938 im Wagenwerk der damaligen Reichsbahn errichtete Spitzbunker derzeit wieder ins Licht der Öffentlichkeit gerückt.
Grund dafür ist ein vom Eigentümer initiierter und in der Stadt diskutierter möglicher Abbruch des 22m hohen Bauwerkes zugunsten eines neuen Lebensmittelmarktes an der Lindenstraße.
Nun fragt man sich völlig zu Recht, wie dieser Einfall überhaupt Gegenstand einer Diskussion sein kann, denn „…der ‚Zuckerhut‘ ist doch denkmalgeschützt, oder nicht?!“ Ja, ist er.
Leider war diese Tatsache in der Vergangenheit noch lange kein Grund, historische Lingener Gebäude auch tatsächlich bis in die Gegenwart zu erhalten.
So wurde mit ‚wirtschaftlicher Unzumutbarkeit‘ oder ‚der Gefahr einer Hausbesetzung‘ argumentiert, um sich eines unbequemen baulichen Problems rasch zu entledigen. Dabei gibt es den Denkmalschutz gerade weil schützenswerte Architektur meistens wirtschaftlichen Interessen entgegensteht. Wäre sie wirtschaftlich interessant, brauchte man sie kaum zu schützen.
Offenbar bedarf es der Klarstellung: Die Aufgabe des Denkmalschutzes ist grundsätzlich, markante und zeittypische bauliche Hinterlassenschaften einer Epoche für die Nachwelt zu erhalten.
Dabei ist völlig unerheblich, ob dem heutigen Besitzer - im Falle des Winkelturmes ist es Grundstückseigentümer Bernhard van Lengerich - das betreffende Gebäude nun gefällt oder nicht. Denn ganz abgesehen von der Subjektivität und Vergänglichkeit jedweder persönlichen Meinung muss es das Ziel der Denkmalpflege sein, selbst unpopuläre Entscheidungen gegen den herrschenden Zeitgeist durchzusetzen und als schützenswert eingestufte Bauwerke für die nachfolgenden Generationen zu erhalten. Denn diese werden wiederum ihre ganz eigenen Auffassungen haben und über die Ansichten unserer Zeit nur müde schmunzeln.
Wie sähen unsere Lebensräume aus, wenn man in den 1960er Jahren den Kölner Dom als fundamentalistische Götzenimmobilie, das Holstentor als unnütz und baufällig oder das Völkerschlachtdenkmal als militaristischen Unsinn dem damaligen Zeitgeist geopfert hätte?
Denkmalschutz wird nicht für die Gegenwart, sondern für die Zukunft betrieben.
Leider ist es in einer Zeit politisch korrekter Denk-Schablonen eher Konsens, einer nur allzu populistischen Argumentation wie der des derzeitigen Eigentümers Bernhard van Lengerich leichthin zu folgen: ‚der Lingener Winkelturm wurde von den Nazis erbaut und ist damit etwas schlechtes - weg damit!' (...und noch mehr Platz dem segensreichen Kommerz!)
Doch Architektur ist weder gut noch böse. Sie ist schlicht das plastische Dokument ihrer Zeit. Ob das einem einzelnen Menschen nun in den Kram passt oder nicht. Besonders dann, wenn der wahre und nachvollziehbare Grund, das Objekt loszuwerden, wohl eher im drohenden Verlust wirtschaftlich nutzbarer Fläche und der Scheu vor den Kosten, die die Erhaltung eines solchen Bunkers mit sich bringt, liegen dürfte als in der urplötzlich aufkeimenden philanthropischen Gesinnung, die Bürger von der Existenz eines Nazi-Ungetüms zu befreien.
Sicherlich ist der Winkelturm weit davon entfernt, von der Mehrheit der Menschen als etwas ‚schönes‘ empfunden zu werden und dennoch hat er im Sinne eines gewissenhaften Denkmalschutzes seine Erhaltensberechtigung: als das real erfahrbare Dokument einer Zeit, in der man meterdicke Betonburgen brauchte, um sich vor der Rache überfallener Völker zu schützen.
Auch ist die Einbeziehung eines solchen Objektes in ein neu zu planendes Gebäude für jeden Architekten eine reizvolle Aufgabe und nur eine Frage der Kreativität.
Es ist gut und richtig, wenn die Bevölkerung die mögliche Preisgabe eines historisch relevanten Bauwerkes nicht stillschweigend und uninteressiert hinnimmt. Und ja, der Lingener Winkelturm ist historisch relevant und damit schützenswert.
Dipl.-Ing. [FH] Arch. Frank F. A. Drees
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